Jana Welch - Männer und Kinderwunsch
Gastbeitrag

Männer und Kinderwunsch: Wenn beim Sex die Lust wegbleibt

In meiner Praxis begegnen mir immer wieder Männer, die unter unerfüllten Kinderwunsch leiden. Meist verändert sich die Sexualität in dieser Zeit und je länger der Kinderwunsch dauert, desto herausfordernder kann es werden, die Sexualität frei und „wie vorher“ zu leben. So erging es auch Tim, dessen Kinderwunsch zwar vorhanden ist, aber längst nicht so ausgeprägt ist wie bei seiner Partnerin, die mit 40 Sorge hat, dass es „nicht mehr“ klappen könnte.

Tim, 37 Jahre, hat Probleme, eine Erektion zu bekommen.

Bevor er und seine Partnerin Annika ans Kinderkriegen dachten, lief es bei ihm sexuell wunderbar. Die beiden hatten viel Spaß im Bett und liebten sich, wann immer sie Zeit füreinander fanden. Ihr Liebesleben war unbeschwert und leidenschaftlich – planlos und kreativ, wie er mir versicherte. Als sie vor 2 Jahren heirateten stand für beide fest, sie wollen zeitnah ein Baby, um die Familie zu komplettieren. Sie machten sich zunächst freudig ans Werk und liebten sich so wie bisher.

Als jedoch nach einem halben Jahr der erwünschte Nachwuchs ausblieb, fing Annika an, nachzuforschen und auf einmal veränderte sich ihr Sex schlagartig. Annika wollte nur noch zum Eisprung mit ihm schlafen – Sex hatte auf einmal ein Ziel. Ein Baby. Vorbei war es mit dem Spielen – es schien ihm so, als wäre er zum Samenspender degradiert worden. In ihm regte sich Unmut und seine Lust und Erregung wanderten in den Keller, je öfter Annika von ihrem bevorstehenden Eisprung sprach. Trotzig wendete er sich von ihr ab und vermied geschickt jegliche intimen Begegnungen. Die Beziehung kühlte ab. Tim masturbierte immer mehr zu Porno und das Thema Sexualität schien sich langsam aus der Beziehung zu schleichen. Annikas Frust wurde größer und so entstand ein unangenehmes Spannungsfeld zwischen den beiden.

Als Tim zu mir kam und über sein Thema sprach, erkannten er recht schnell, dass sich die Motivation für Sex bei beiden verändert hatte und sie nicht mehr auf einer Welle ritten. Annika hatte ein klares Ziel und Tim wollte „nur“ die alte körperliche Nähe zurück, sie spüren und sich ihr nah fühlen – sein KW war nicht so groß wie der von Annika. Tim hatte nie gelernt, über seine Bedürfnisse ehrlich zu sprechen und hatte sich so selber in eine für ihn stressvolle Situation gebracht. Sein bestes Stück reagierte mit Trotz und Rückzug und unzuverlässigen Erektionen. Er war zunehmend angespannt und konnte seine Erregung in der Paarsexualität nur noch schwer steuern. Das führte ebenfalls dazu, dass er keine Lust mehr hatte mit Annika zu schlafen – er wollte sich nicht die Blöße geben, nicht zu performen.

Ein Teufelskreislauf. Durchbrochen haben sie ihn letztendlich beide, als Tim Annika mit zu der Sitzung brachte. Beide legten die Karten auf den Tisch und erfuhren so, wie der andere sich wirklich fühlte. Annika war in ihrem Tunnel Kinderwunsch gefangen und hatte Sexualität auf ihre monatliche To-do-Liste gesetzt. Ihre Zielstrebigkeit und ihr Ehrgeiz hatten nun auch bei diesem Thema Besitz von ihr ergriffen und sie hatte den Bezug zu ihrem Körper und ihrem eigenen Lustempfinden ein wenig verloren. Spielen hatte da keinen Platz. Aus Sex spielen wurde „Sex haben müssen“ geworden. Tim war erleichtert, als er endlich verstand, was Annika bewegte, nur noch zum Eisprung Sex haben zu wollen. Die beiden hatten Lust wieder mehr Leichtigkeit in ihr Liebesleben zu bringen und vereinbarten das Ziel „Baby“ bewusst an den unfruchtbaren Tagen auszuklammern. Sie konnten sich gut vorstellen, sinnliche Begegnungen bewusster zu erleben und zu initiieren. So verabredeten sie, dass sie abwechselnd zum „Hüter ihrer Sinnlichkeit“ werden wollten– wochenweise.
Alleine diese Idee sorgte für mehr Freude und Leichtigkeit in ihrer Beziehung.

Männer und Kinderwunsch – eine zweite Geschichte

Ganz anders zeigt sich die Situation, wenn nur der Mann Kinderwunsch hat. So bei Markus, der eigentlich schon seitdem er denken kann, Kinder haben wollte. Und zwar viele.

Markus ist 40 Jahre alt und seit einem Jahr in einer Beziehung mit Sara, die mit ihren 30 Jahren noch so überhaupt keine Lust auf Kids hat. Sie hat das klar kommuniziert und Markus hegte heimlich die Hoffnung, dass er sie überzeugen könnte. Er notiert haargenau, wann sie ihre Tage hat und da sie beide nicht verhüten, versucht er stets sie während ihrer fruchtbaren Tage zum Sex zu überreden. Das führt jeden Monat zu Frustration und Streit. Die beiden kommen zu mir, weil sie mit der Situation extrem unzufrieden sind. Ihre Paarbeziehung an sich läuft super – aber dieses Thema sorgt für echten Unmut auf beiden Seiten. Markus Uhr tickt – so zumindest seine Vorstellung, denn er möchte und wollte nie ein alter Vater werden. Er liebt Sara und sieht sie ganz klar als Mutter seiner Kinder. Er hat einen drängenden Kinderwunsch, den er sich auch nicht alleine erfüllen könnte. Er fühlt sich von Sara abhängig und hat den Eindruck, dass sie die Kontrolle in der Beziehung hält. Einfach, weil sie eben bestimmt. Und tatsächlich ist es so. Es braucht zum Kinderkriegen immer ein JA von beiden Seiten.
Ansonsten kann der KW sehr leicht zum Beziehungsstopper werden.

Der einzige Ausweg aus dem Dilemma – einer verzichtet von Herzen und entscheidet sich eben für die Beziehung und gegen ein Kind. Verzichtet man jedoch „nur so“ und hofft insgeheim, dass sich der Partner doch noch einmal umentscheidet, kann das langfristig zu großen Frustrationen führen, die die Beziehung unterschwellig zermürben. Spätere Vorwürfe sind vorprogrammiert.

Klare Kommunikation ist auch hier die beste Lösung. Das rate ich auch Markus und Sara. Sie vereinbaren in meiner Praxis, dass sie das Thema KW noch einmal zurückstellen, bis Sara einen festen Job hat. Durch unser Gespräch wird ihr klar, dass sie eigentlich schon Lust auf Kinder hat – allerdings eben noch nicht jetzt, wo sie sich ihrer beruflichen Zukunft nicht sicher ist. Für Marcus ist das eine akzeptierbare Zwischenlösung, die dafür sorgt, dass die beiden wieder entspannter Liebe machen können.

Miteinander ehrlich sprechen und seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen erfordert ganz viel Mut. Meiner Meinung nach ist das jedoch die einzige Möglichkeit eine intime Beziehung zu leben. Wenn man wirklich in der Lage ist, sein Innerstes preiszugeben, auch auf die Gefahr hin, dass der andere vielleicht schockiert ist oder sauer wird, erlebt man meist eine tolle Überraschung. Auch der andere öffnet sich und traut sich, Tacheles zu sprechen.

Probiert es einmal aus.

Über Jana Welch

Ich lebe mit meinen beiden Kindern in Hamburg und arbeite dort als Sexologin mit eigener Praxis – live und online. Ich habe einen Master in Sexologie und bin systemische Sexualtherapeutin für Paare. In meinem ersten Berufsleben war ich Journalistin und Fernsehproduzentin. Heute kann ich diese beiden Felder mit meinem Lieblingsthema Sexualität besetzen. Denn für mich ist eine intakte Sexualität der Kleber einer jeden Beziehung. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man Sexualität zu jedem Zeitpunkt seines Lebens verändern kann und genau das vermittle ich als „Mutmacherin“ meinen Klienten. Es ist nie zu spät.

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